GROßES KINO: WAS IST SO FASZINIEREND AN MIAMI?

Von Martin Rolshausen

Zwischen Alfred Hitchcock und Elvis ist Platz für einen Schimpansen, eine Blondine und irgendwas mit Träumen. Vermutlich ein Hurrikan hat einen Teil der Botschaft weggefegt. Nur noch „your dreams“ ist übriggeblieben im oberen Teil der Holzfassade eines Ladens in Wynwood. Heute ist es windstill, die Blätter der Palme am Straßenrand bewegen sich nicht. Ansonsten ist einiges los im Art District von Miami. Fast 80 Galerien und Museen, etwa ein Dutzend Ateliers und regelmäßige Kunstmessen gibt es im Künstlerviertel.  „Art is not a crime“ verkündet das Schild, das Elvis vor sich hält. 

„Life ist beautiful“ steht auf der Filmklappe, die der Fassadenkünstler Hitchcock in die Hand gelegt hat. Dazu eine schöne Frau und ein wildes Tier – „Hey, wir sind hier in Miami“, scheint der Künstler in Erinnerung rufen zu wollen. 

Und immer scheint die Sonne

Ein anderer Künstler hat dieselbe Botschaft, nur ganz ohne Worte: Tony Kelly. Schlicht mit „Miami“ ist der Band mit Werken des irischen Fotografen überschrieben, der gerade im teNeues-Verlag erschienen ist. Miami – das ist eine Stadt, in der Winter allenfalls etwas ist, das man aus dem Fernsehen kennt, während man darüber nachdenkt, eine neue Badehose, ein neues cooles Hemd, einen neuen Bikini, einen neuen Sonnenhut zu kaufen. Hier folgen auf feucht-heiße Sommer trocken-warme Winter. Nur die Hurricanes sorgen für Ärger. Aber damit haben die Menschen im tropischen Monsunklima Floridas zu leben gelernt.  

Palmen, türkisblaues Meer, Hochhäuser, in deren Glasfassaden sich die Sonne spiegelt, schöne Frauen, Drogen, viel Geld und Männer in pastellfarbenen Sakkos, Lederslipper ohne Socken und Wayfarer-Sonnenbrillen von Ray Ban, die in ihren Sportwagen den Biscayne Boulevard mehr entlanggleiten, als dass sie fahren. Das ist das Bild von Miami, das ab Mitte der 1980er-Jahre die Serie „Miami Vice“ auch in europäische Wohnzimmer gebracht hat.

Doch in Miami leben nicht nur die Reichen und Schönen. Hier wird wie überall auf der Welt auch hart gearbeitet. Aber ob man seine Tage auf einer Yacht und seine Nächte in Clubs verbringt oder ob man an der Supermarktkasse sitzt, in einer Bar hinterm Tresen steht, Kochbananen-Spezialitäten aus einem Foodtruck heraus verkauft: In Miami ist man cool. Oder man gehört nicht wirklich hierher. 

Dass mehr als die Hälfte der knapp eine halbe Million Einwohnerinnen und Einwohner von Miami Spanisch sprechen, verstärkt das lässige Lebensgefühl – vor allem im Stadtteil Little Havanna, wo die Exilkubaner und ihre Nachfahren nicht nur bei ihrem Miami-Karneval, während der Kultur-Freitage und bei der Drei-Königs-Parade Party machen. 

Wem das nicht abwechslungsreich genug ist, der überquert auf einer der Brücken oder mit dem Boot die Biscayne Bay, um nach Miami Beach zu kommen. In Miamis Nachbarstadt feiern vor allem die Touristen auf dem Ocean Drive. Dort gibt es Hunderte von Hotels, Ferienhäuser, Restaurants und Nachtclubs.  

Teil von etwas ganz Großem sein

Den Glamour vergangener Tage findet man, wenn man über die Stadtgrenze im Südwesten in die Nachbargemeinde Coral Gables fährt. Dort leben nicht nur die Reichen. In Coral Gables steht das legendäre Biltmore Hotel. Hier hat Johnny Weissmuller vor seiner Film-Karriere als Tarzan gearbeitet und im vor rund 100 Jahren als größter Hotelpool der Welt beworbenen Schwimmbecken trainiert und Schwimmunterricht gegeben. 

Das Hotel diente als Kulisse für Filme und Serien, darunter „Miami Vice“, „The Specialist“ mit Sylvester Stallone und „Bad Boys“ mit Will Smith. Einschusslöcher in einer Suite zeugen bis heute von Auseinandersetzungen zwischen echten Gangstern – das wird zumindest behauptet.  

Ob Coral Gables, Miami oder Miami Beach – wer in den vergangenen Jahrzehnten nicht konsequent Kinos gemieden und den Fernseher ausgelassen hat, wird auch beim ersten Besuch das Gefühl nicht loswerden, das hier zu kennen und Teil von etwas ganz Großem zu sein. 

„Miami strahlt Energie, Glamour und Kreativität aus und verbindet das mit einer lässigen Kultiviertheit“, erklärt Paul Solomons, Creative Director und Herausgeber des neuen Miami-Fotobands. Miami sei dem Mann „sehr ähnlich“, dessen Bilder das Buch auf 192 Seiten bündelt: Tony Kelly eben. 

Der – da legt er sich nicht fest – 1975 oder 1976 geborene Ire zeigt mit seinen Fotos Sunshine-City von seiner buntesten Seite: blaues Wasser, blauer Himmel, grelle Farben dazwischen und viel nackte Haut.  Er würzt Luxus und Lebenslust mit Humor und einem schrägen Blick auf das Leben in der grellen Welt einer der reichsten Städte der Vereinigten Staaten.

Auf einem Foto posiert ein  Partygirl bestens gelaunt vor einem roten Ferrari, der an einer Palme geschrottet wurde. Auf einem anderen liegt ein Paar Pumps in einem Alligator-Gehege. Kelly präsentiert zwei Muskelprotze, die Schach spielen, und er verliert sich auf vielen seiner Fotos in Details, die zeigen, was für einen besonderen Blick dieser Ire hat.  

„Sein dynamischer Einsatz von Farbe und bildhaften Kompositionen sind der Traum eines jeden Art Directors“, sagt Paul Solomons. So wie Miami der Traum von Fotografen ist – und ein Ort für Menschen, die Träume leben wollen. Vermutlich war es also das Wort „Live“, das der Hurricane am Fassadenkunstwerk im Wynwood District  über „your dreams“ weggefegt hat. 

2024-07-02T16:19:10Z dg43tfdfdgfd