WER NACH BARCELONA REIST, IST SELBER SCHULD

So gemein! Die in Barcelona lassen Touristen also bald nicht mehr in ihren Wohnungen logieren, weil sie da wieder selber leben wollen. Sie halten Schilder hoch, auf denen „Tourists go home“ steht. Dabei lassen die Reisenden doch so viel Geld bei denen. Wie undankbar, wie gastunfreundlich!

Wie kommen die armen Besucher dazu? Die können einem ja richtig leidtun. Aber müssen sie das? Man darf sich auch einmal fragen: Warum reisen diese Leute unbeirrt und in Scharen ausgerechnet dorthin, wo man sie wegen chronischer Überfüllung nicht mehr haben will? Wissen die das nicht, lesen die keine Nachrichten? So einzigartig ist Barcelona jedenfalls nicht. Selbst wenn man das Anforderungsprofil restriktiv formuliert – größere spanische Stadt am südlichen Meer, mit Sandstränden, ein paar kunsthistorisch fragwürdigen Sehenswürdigkeiten und einem hübschen historischen Kern –, fallen uns gleich mehrere Alternativen ein: Valencia, Málaga, Alicante oder das besonders schmucke Cádiz.

Es ist eben nicht, wie man oft aufgeregt hechelnd suggeriert, überall und ständig so überlaufen. Es gäbe neben Hallstatt auch Altausee. Neben Mallorca auch Menorca. Hinter San Gimignano bald Volterra. Ums Eck von Amsterdam noch Utrecht. Rund um Rom finden sich fantastische Ruinenstädte in romantischer Landschaft, die man fast für sich allein haben kann. Und wenn es schon Rom selbst sein muss: warum zu Ostern? Warum zur Fontana di Trevi, wo man sich durch Massen von Mitfremden boxen muss, um ein blödes Selfie mit einem Brunnen zu machen, den eh jeder kennt? Und warum stehen die Leute in Florenz stundenlang Schlange für eine David-Statue, von der sie dank millionenfacher Reproduktion genau wissen, wie sie aussieht, während sich fast niemand mehr zu Masaccios aufregenden Fresken in die Brancacci-Kapelle verirrt?

Warum sich durch Massen von Mitfremden boxen, um ein blödes Selfie mit einem Brunnen zu machen, den eh jeder kennt?

Zum Glück ist unser Kontinent überreich an Schönem, das es noch zu entdecken gilt. Dort empfangen Gastronomen ihre Kundschaft mit offenen Armen, man kommt mit neugierigen Einheimischen ins anregende Gespräch, und in Museen muss man sich nicht von zwei Dutzend Ellbogen anrempeln lassen, um in Ruhe eine Frührenaissance-Madonna auf sich wirken zu lassen. Genau das aber wäre es, was gelungenes Reisen ausmacht.

Nun denn: Warum zieht es so viele nach Barcelona, obwohl man sie dort mittlerweile hasst? Die Antwort ist so simpel wie trübselig: Es ist ihnen wurscht. Sie interessieren sich eh nicht für Land und Leute, sondern nur für Kulissen, für historische Freizeitparks in fototauglichem Ambiente. Sie wollen dorthin, wo andere schon waren, um nix zu versäumen. Und sie wollen ihr „Ich lasse nichts aus“-Gelübde in digitalen Schauräumen durch Zuspruch beglaubigt wissen. Sollen sie. Aber sie sollen sich nicht wundern, wenn ihr Barcelona-Wonderland wegen Überlastung schließt. Damit, im besten Fall, aus einem Fun-Areal für Globetrottel wieder eine bewohnbare Stadt wird.

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