MALEDIVEN: DAS KONSTRUIERTE PARADIES

Heute managt Tony – der eigentlich Husham Mohamed heißt, aber so nennt ihn hier niemand – das Wassersportzentrum des Luxusresorts Seaside Finolhu. Gerade will niemand ein Kajak oder Jetski bei ihm ausleihen. Die 320 Gäste der Insel sind auf andere Art damit beschäftigt, sich dem Inseltraum hinzugeben, der hier, im Vergleich zu Tonys einstigem Strand-Picknick, um einige Facetten erweitert wurde: In vier Restaurants schlemmt man Wagyu-Beef oder frisch gegrilltes Thunfisch-Steak, umweht von weißen Vorhängen schlürft man am Strand aus Kokosnüssen. Und wer das Glück hat, in einem der Bungalows direkt über dem Wasser zu wohnen, braucht nur kurz sein Tagesbett auf der Terrasse zu verlassen, um mit Maske und Schnorchel auf die Suche nach Riffhaien oder Rochen zu gehen.

Finolhu liegt im Baa-Atoll, einem von der Unesco geschützten Biosphärenreservat. Seit 2019 gehört das Resort der Hamburger Seaside-Gruppe, davor war hier ab 2016 ein Partydomizil, in dem die Beckhams oder Leonardo DiCaprio Urlaub machten und Paris Hilton auflegte. Die deutschen Betreiber verwandelten es mit viel Detailliebe in eine luxuriöse Komfortzone. Nach dem abenteuerlichen Anflug mit dem Wasserflugzeug wird man von einem winkenden Begrüßungskomitee empfangen, an jeder Ecke werden feuchte Handtücher gereicht. Unaufdringliche Perfektion scheint hier die Maxime zu sein: Die makellosen Bungalows sind in sanftem Design gehalten, das die Farben der Insel – vom türkisen Meer bis zum üppigen Grün der penibel gepflegten Vegetation – widerspiegelt. Ein gefüllter Weinkühlschrank und drei Duschen gehören zum Interieur, Zimmerservice gibt es zweimal täglich. Um weitere Wünsche kümmert sich der persönliche Butler, der jedem Gast zugewiesen wird. Er organisiert Massagetermine und kutschiert einen auf WhatsApp-Bestellung mit einem Golfcart durch das Resort. Wer lieber spaziert, kann dies getrost barfuß tun: Mitarbeiter rechen unablässig die sandigen Wege.

Längste Sandbank: Auf dieser Insel kann man tatsächlich spazieren

Rund 300 Menschen aus verschiedensten Ländern halten den Betrieb am Laufen. Ihre Quartiere liegen ebenso geschickt im Inseldickicht versteckt wie der Transportsteg, über den die Insel von Schiffen versorgt wird, und die Dieselgeneratoren, die den Energiebedarf des Resorts decken. Da lässt es sich leicht daran glauben, dass dieses kleine Paradies nur aus Korallenriff, Tennisplatz, Spa-Bereich, Restaurantterrassen und kleinen Bungalows besteht. Und Strand natürlich, viel Strand, mehr als auf vielen anderen Resortinseln der Malediven: Die lange Sandbank von Finolhu (was in der Landessprache Dhivehi genau das bedeutet: Sandbank) ist die längste des Landes, erzählt das Hotelmanagement stolz. Fast eineinhalb Kilometer lang kann man sie entlang gehen, und wenn das Meer nicht gerade spiegelglatt liegt, schwappen von zwei Seiten die Wellen über den Sand: Hier das poolblaue Wasser der sogenannten Lagune, da das tiefblaue des offenen Meeres.

Aus rund 1200 Inseln bestehen die Malediven, 175 davon sind Resortinseln. Der Tourismus ist, seit er 1972 auf staatliches Bestreben hin eingeführt wurde, zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor des Landes geworden. Dieses hat abseits der Resorts sehr wenig mit einem Lebensgefühl wie aus der Raffaello-Werbung zu tun. Mit dem Speedboot fahren wir nach Thulhaadhoo, wo die Muezzinrufe gerade über den Hafen schallen. Sonst ist es ruhig hier: Dicht an dicht stehen die Fischerboote im Wasser, davor sind meterlange Tische zum Trocknen von Thunfisch aufgebaut (der zweitgrößte Wirtschaftssektor). 3000 Menschen wohnen auf dieser Insel. Passionsfrüchte und Breadfruit-Zweige hängen über die aus Korallen gemauerten Hauswände und Wellblechzäune. Abgesehen von ein paar Menschen, die auf Plastiksesseln vor ihren Häusern sitzen, und ein paar Mopeds, die über die sandigen Gassen rollen, wirkt das Dorf leer. Bis wir zum Fußballkäfig der Insel kommen: Drinnen kicken junge Männer, draußen tratschen angeregt die versammelten Frauen.

Kein Alkohol, keine Bikinis – und keine Religionsfreiheit

Dass man als Tourist eine solche „Local Island“ besuchen darf, ist erst seit 2008 erlaubt, dem Jahr, in dem auch die erste demokratische Präsidentenwahl stattfand. Seit damals dürfen auch Malediver Gästehäuser betreiben, wodurch sich eine günstigere Tourismusoption für Individualreisende ergab. Das Erlebnis ist mit jenem in den Resorts freilich nicht zu vergleichen: Alkohol, Schweinefleisch, Bikinis sind im Land – abseits der Touristeninseln und abgetrennten „Bikini Beaches“ – verboten, selbst Hunde zu halten ist tabu. Die maledivische Bevölkerung ist offiziell zu hundert Prozent muslimisch, Religionsfreiheit gibt es nicht, es gilt die Scharia. Internationale NGOs bemängeln regelmäßig Menschenrechtsverletzungen.

Und weil die Grundware, mit der gehandelt wird, hier doch überall dieselbe ist – Sand, Sonne und eine so beeindruckende wie bedrohte Unterwasserwelt –, versuchen die Resorts sich mit zusätzlichen Angeboten hervorzuheben. Auf Finolhu lässt man zahlungskräftige Besucher etwa auf einer Plattform im Meer ein Menü mit Sake-Begleitung speisen (ab ca. 1100 Dollar für zwei Personen) oder in einer klimatisierten Plastik-Kuppel, der sogenannten „Bubble“, am entlegenen Ende der Insel nächtigen (ab ca. 1250 Dollar pro Nacht). Eine „Castaway-Experience“ nennt Insel-PR-Chef Gulzar Ahmed so ein Erlebnis, angelehnt an den Film mit Tom Hanks, in dem dieser einen Mann spielt, der auf einer unbewohnten Insel strandet. Auf einem früheren Resort, auf dem er arbeitete, erzählt Gulzar, habe man die Gäste gar in einer zweistündigen Bootsfahrt auf eine einsame Insel gebracht, wo sie campend die Nacht verbringen durften – natürlich mit Koch und Personal. Ein Picknick, wie Tony es aus seiner Erinnerung kennt – in der Luxusversion kann man es sich kaufen.

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