MANIFESTA 15 IN BARCELONA SETZT AUF REGIONALENTWICKLUNG

Die 15. Ausgabe der europäischen Wanderbiennale Manifesta, die am Samstagabend in der Metropolregion Barcelona eröffnet, gibt sich in Bezug auf ihre geografische Ausdehnung ambitionierter als je zuvor. Konzeptuell widmet man sich pragmatischer Stadtentwicklung. Während der Event sich im mit Kunstinstitutionen bestens versorgten Barcelona auf einen einzigen Schauplatz beschränkt, stehen bis Ende November mit Hilfe von Kunst elf Umlandkommunen im Mittelpunkt.

Wenige europäische Metropolen haben internationale Großprojekte ähnlich produktiv zur Stadtentwicklung eingesetzt wie Barcelona, das etwa ohne die Weltausstellung von 1929 und die olympischen Sommerspiele von 1992 heute anders aussehen würde. Mit einem Gesamtbudget von knapp neun Millionen Euro spielt die Manifesta 15 aber zwangsläufig in einer deutlich kleineren Liga.

Als sie sich vor einigen Jahren erfolgreich um die Austragung der Wanderbiennale im Jahr 2024 bemühten, haben die Verantwortlichen der aus Barcelona und Umgebung bestehenden Metropolregion aber sichtlich an Konkretes gedacht: Die durch Flüsse im Norden und Süden, einen Gebirgszug im Westen und das Mittelmeer im Osten umfasste Hauptstadt Kataloniens gerät zunehmend an seine geografischen Wachstumsgrenzen, eine Integration des Umlands ist daher angezeigt, gerade auch auf dem kulturellen Feld.

Die erfahrene Manifesta-Macherin Hedwig Fijen meisterte diese Aufgabe der offiziellen Kulturpolitik mit Bravour. Einerseits zeigt sie im Festivalzentrum, der modernistischen Ex-Verlagszentrale Gustavo Gili im Zentrum von Barcelona, drei gesellschaftskritischen Archivausstellungen zur lokalen Geschichte, die eine intellektuelles Szene der Metropole ansprechen dürfte. Andererseits castete sie in einem Umkreis von etwa 30 Kilometern 15 weitere Ausstellungslocations jenseits der Stadtgrenzen und gruppierte sie zu drei thematischen Clustern. Besucherinnen und Besuchern, die am gesamten Programm interessiert sind, wird einiges abverlangt: Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sollten alle Ausstellungen innerhalb von vier Tagen besucht werden können, versicherte der APA eine Sprecherin der Biennale am Rande des Previews.

Bei der Kunstauswahl verzichtete die Niederländerin Fijen gemeinsam mit ihrer portugiesischen Co-Kuratorin Filipa Oliveira weitgehend auf internationale Stars und setzte schwerpunktmäßig auf Kunst aus Spanien. Österreichische Teilnehmerinnen und Teilnehmer fehlen. Provokation und Verstörung sind nicht angesagt, vielfach illustrieren Werke eher die Möglichkeiten des jeweiligen Ausstellungsortes. Im südlich von Barcelona befindlichen Cluster "Eine Balance in Konflikten finden" gilt dies etwa für zwei Einzelausstellungen aufstrebender Künstlerinnen in stillgelegten Industrieobjekten: Während die aus dem Senegal gebürtige Binta Diaw in einer ehemaligen Textilfabrik mit einer riesigen Installation aus Kunsthaaren und Pflanzen auf die Geschichte afrikanischer Sklavinnen verweist, beschäftigt sich die Estin Katja Novitskova in einer Metallfabrik mit dem Verhältnis von Natur und Technik.

Die Hauptattraktion dieses Clusters ist jedoch die modernistische Casa Gomis, ein Meisterwerk des katalanischen Nachkriegsarchitektur: Einst ein paradiesischer Rückzugsort für die Familie Gomis und ihre Freunde aus der Kunstszene ist der stetig wachsenden Flughafen Barcelona-El Prat mittlerweile bedrohlich nahe an die Villa herangerückt. Die donnernden Düsentriebwerke startender und landender Jets sorgen dafür, dass es keine ruhige Minute mehr gibt.

Die Manifesta hat das gesamte Haus und den umliegenden Garten in eine große Ausstellung verwandelt. Thematisiert werden ökologische Probleme - das niederländische Kollektiv "Embassy of the North Sea" beschäftigt sich etwa mit dem unweit der Villa in das Mittelmeer mündenden Riu Llobregat. Andererseits wird aber auch auf die Geschichte des Ortes Bezug genommen: Zu sehen ist etwa ein für die Villa konzipiertes Gemälde der Künstlerin Magda Bolumar aus den Sechzigerjahren oder Grafiken des berühmten katalanischen Modernisten Antoni Tàpies (1923-2012). Eine Tanzperformance im Garten ist Teil einer Hommage der lokalen Künstlerin Lola Lasurt an jene avantgardistische Sonnenanbeter, die dereinst einen benachbarten Strand frequentiert hatten.

Beim Cluster "Heilen und Fürsorge" fungiert indes das mittelalterliche Benediktinerkloster Kloster Sant Cugat del Vallès, das sich etwa 10 Kilometer nordwestlich von Barcelonas befindet, als Zentrum. Unter anderem als Echo auf die Corona-Pandemie beschäftigen sich Künstlerinnen und Künstler hier auch mit spirituellen Fragen, die Trost spenden sollen. Mit drei Holzskulpturen verweist der ghanaische Künstler Martin Toloku auf religiöse Vorstellungen aus seiner Heimat, in der auch seine als Schnitzer tätige Vorfahren an seinen eigenen Holzarbeiten involviert sind. Auch seine Tanzperformance soll Kommunikation mit vergangenen Zeiten ermöglichen. Als Reflexionen zu einer schwierigen Jetztzeit lässt sich indes ein großformatige Wandteppich der Niederländerin Fanja Bouts interpretieren, die in einer Videospielästhetik etwa Steueroasen anprangert.

15 Kilometer weiter im Norden stehen in der 60.000-Einwohner-Stadt Granollers indes Wunden aus der Vergangenheit im Vordergrund: Das spanische-italienische Künstlerduo MASBEDO präsentiert in einem Bunker eine Videoperformance, die auf die Bombardierung der Stadt im spanischen Bürgerkrieg verweist. Dies gilt ebenso für eine Bienenschwarminstallation des aus Frankreich gebürtige Soundkünstlers Félix Blume, die in der historischen Markthalle "La Porxada" auch an herannahenden Bombenflugzeuge des Franko-Regimes erinnert: "La Porxada" war seinerzeit bombardiert worden.

Auf eine weitere Wunde des Franquismus, ein von vielen Katalanen als Diskriminierung wahrgenommener Umgang mit ihrer katalanischen Muttersprache und daraus resultierende Unabhängigkeitsbestrebungen, deuten im Umland von Barcelona nahezu omnipräsente Graffitis hin. Die Manifesta 15 spart dieses schwierige Thema aus, lediglich in einer Archivausstellung in Barcelona wird das Unabhängigkeitsreferendum von 2017 in einem Halbsatz erwähnt.

Jedenfalls mit interessanten Orten kann auch der dritte Cluster der Biennale nördlich von Barcelona aufwarten. Unter anderem in einem Gefängnis in Mataró sollen "Vorstellungen der Zukunft" skizziert werden. Zentraler Ausstellungsort ist dabei ein stillgelegtes Wärmekraftwerk mit drei gigantischen Schornsteinen in Sant Adrà de Besòs, das in Anspielung an Antoni Gaudís berühmten Kirchenbau auch als "Sagrada Família der Arbeiter" bezeichnet wird. Am Samstagabend wird die Manifesta 15 hier symbolträchtig auch offiziell eröffnet werden.

(S E R V I C E - Manifesta 15, Metropolregion Barcelona. Bis 24. November. https://www.manifesta15.org/)

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